Like-Blog
So interessant können Übersetzungslösungen sein

Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.
Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Unverantwortlich (August 2025)
Im Artikel „Sold Down the River“ von Eleanor J. Sterling und Merry D. Camhi, der online im Natural History Magazine (www.naturalhistorymag.com) veröffentlicht wurde, findet sich folgender Satz:
„To grow food for expanding human populations, people divert rivers, drain inland seas, and extract fossil groundwater collected over thousands of years, often at unsustainable rates.“
Die deutsche Übersetzung lautete: „Um für eine stetig wachsende Bevölkerung Nahrung anzubauen, werden Flüsse umgeleitet, Binnenmeere entwässert und jahrtausendealtes fossiles Grundwasser abgezogen – und all das in einem unverantwortlichen Umfang.“
In diesem Blogbeitrag geht es ausnahmsweise nicht um eine Fehlersuche, sondern darum, zu erkennen, wo der Zieltext vom Ausgangstext abweicht und wie diese Abweichung zu bewerten ist. Ob – und, wenn ja, inwieweit – eine Abweichung im Zieltext gerechtfertigt ist, hängt von der Übersetzungsstrategie ab. Die Übersetzungsstrategie sollte auf der Grundlage einer Analyse der Übersetzungssituation festgelegt werden: Was erwarten die Leserinnen und Leser der Übersetzung? Sind sie sich der Tatsache bewusst, dass das, was sie lesen, eine Übersetzung ist? Lesen sie die Übersetzung, weil sie die Sprache des Ausgangstextes nicht verstehen? Mit anderen Worten: Brauchen sie die Übersetzung, weil sie das Original verstehen möchten?
Im gegebenen Zusammenhang soll ein journalistischer Text übersetzt und die Übersetzung in einem vergleichbaren journalistischen Medium veröffentlicht werden. Dass es sich bei dem deutschen Text um eine Übersetzung handelt, ist den Lesern oder Leserinnen daher vermutlich nicht bewusst – allenfalls durch einen entsprechenden Hinweis im Zieltext. Von Interesse ist also lediglich die Präsentation des Inhalts, der in sich stimmig sein muss. Im Falle eines suboptimalen Originals bedeutet das, dass der Zieltext besser sein sollte als der Ausgangstext.
Wie ist nun die obige Übersetzung vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zu bewerten? Im Fokus ist hier der Ausdruck „often at unsustainable rates“. Auf den ersten Blick könnte man bemängeln, dass „unsustainable“ eine wesentlich spezifischere Bedeutung hat als „unverantwortlich“, und deshalb die Übersetzung an dieser Stelle verbessert werden sollte. Eine nähere Analyse zeigt außerdem, dass sich der Ausdruck „und all das in einem unverantwortlichen Umfang“ auf sämtliche vorgenannten Punkte bezieht, während „often at unsustainable rates“ nur auf die Entnahme fossilen Grundwassers bezogen ist. Die Frage, ob dies nun ein weiterer Fehler sei, den es zu beheben gilt, muss jedoch verneint werden. Es lässt sich sogar begründen, dass die Übersetzung, so wie sie ist, besser ist als das Original: Denn wenn sich „often at unsustainable rates“ lediglich auf „extract fossil groundwater collected over thousands of years“ bezieht, ist es redundant, da die Entnahme von jahrtausendealtem Grundwasser niemals nachhaltig sein kann. Hier bewirkt also die Verwendung eines unspezifischeren Adjektivs und der Mehrfachbezug des dazugehörigen Adverbialausdrucks („in einem unverantwortlichen Umfang“) eine zwar leicht modifizierte, dadurch jedoch verbesserte Aussage.